Regionale 5

Regionale 5

Die Kunsthalle Basel zeigt anlässlich der diesjährigen Regionalen 26 künstlerische Positionen. Aus über 590 Dossiers hat die Jury (Adam Szymczyk, Direktor, Claude Gaçon, Künstler und Kommissionsmitglied der Basler Kunstvereins und Simone Neuenschwander, Kuratorische Assistenz) KünstlerInnen ausgewählt, die mit so unterschiedlichen Medien wie Fotografie, Malerei, Installationen und Film arbeiten. Durch das Nebeneinander der verschiedenen künstlerischen Artikulationen werden in der Ausstellung neue formale und narrative Zusammenhänge entstehen. Parallel zur Regionale ist im Oberlichtsaal die Verkaufsausstellung Kunsthalle-Salon mit Werken aus der Sammlung des Basler Kunstvereins zu sehen. Der Kunsthalle-Salon zeigt Arbeiten von regionalen KünstlerInnen, die eine repräsentative Übersicht über die Sammlungsgeschichte bieten. Die Hängung, die den Salonausstellungen des 19. Jahrhunderts nachempfunden ist, erinnert an die Weihnachts- oder Winterausstellungen aus den Anfängen der Kunsthalle. Die zeitgenössische Ausstellung der Regionale 5 erhält somit in diesem Jahr eine historische Kontextualisierung. Gleichzeitig blickt die Kunsthalle aber auch in die Zukunft: Die Galerie Schalter, geführt von Studenten der Hochschule für Gestaltung Basel, stellt sich als jüngster Kunstort in Basel vor. Im Projektraum der Kunsthalle bespielt die Schalter-Crew den nachgebauten Galerieraum aus der Clarastrasse 135 mit einem eigenen Programm von wechselnden Ausstellungen, Filmen und Diskussionsrunden.

Die grossformatigen Acrylbilder von Andreas Berde (*1975) verbinden fotorealistisch gemalte Porträts mit abstrakten Formen, die an eine geheime Zeichensprache erinnern. Die abstrakten Zeichen ziehen sich wie eine Netzhaut über die Bildoberfläche und irritieren den Blick des Betrachters, so dass das Bild nie als Ganzes wahrgenommen werden kann.

Rudolf Besmer (1968) präsentiert eine Serie von 11 Fotografien, in die eine menschenleere Bildwelt zeigen. Im Bildausschnitt bleiben jedoch die Spuren des Menschen und deren Auswirkung auf die Umwelt anwesend. Die Bilder scheinen uns auf den ersten Blick bekannt zu sein und bergen doch einen beunruhigenden Moment. So ist es nicht erstaunlich, wenn sich der Titel *It’s a strange world auf eine Aussage in David Lynchs Film Blue Velvet bezieht.

Bernhard Bretz (1980) und Matthias Holliger (1974) entwickeln ihre Installationen immer ausgehend vom Ausstellungsraum und dessen architektonischen Eigenheiten. Bezug nehmend auf die renovierte Oberlichtdecke haben die Künstler ein schwebendes Objekt – ein überdimensionales, ikea-artiges Hängeregal aus Holz und Stoff – entwickelt, das den grossen Saal von der Decke aus als Raumkörper besetzt.

Dorella Buchers (1960) Fotoserie *Der Beobachter (2004) wird durch ein Bild des Generals Guisan ergänzt, der aus dem alten Sitzungszimmer der Markthallen AG in Basel stammt. Dort entstanden auch die dazugehörigen Fotografien. Sie dokumentieren die verlassenen Räume eines ehemals lebendigen sozialen und materiellen Umschlagplatzes. Der General ist zum einsamen Beobachter geworden, der über dem alten Sitzungstisch thront.

Renate Buser (1961) zeigt drei Fotografien mit monumentalen Hochhäusern in Paris, vor denen Hunde liegen oder stehen. Die Fotomontagen mit den Hunden entstanden im Atelier: Die Künstlerin liess die Hunde vor der Fotokulisse, die aus zusammengesetzten Vorder- und Hintergründen bestehen, posieren. Durch die Nahansicht der Hunde, die ja oft als der beste Freund des Menschen gelten, verliert die gezeigte, menschenleere Stadt in den Bildern ein wenig von ihrer Anonymität. Die Titel der Fotografien wie *Nimba oder Baco verstärken weiter die Diskrepanz zwischen Intimität und anonymer Grossstadt.

Die bewegte Diaprojektion von Christine Camenisch (*1956) bespielt eine enge Passage zwischen einer Videobox und der Wand. Zwei Diaprojektoren werfen trapezförmige Flächen auf die beiden Wände, die sich im rechten Winkel treffen. Die Lichtflächen beginnen sich durch den Autofokus der Diaprojektoren zu bewegen und lassen wie von Zauberhand einen Kubus entstehen, der sich in den Raum hineinbewegt.

Untitled, or, there’s always free cheddar in a mousetrap (2002/2003) ist der Titel des Videofilms von Baris Dogrusoz (*1978). Im Film sind junge Handelsreisende mit Gepäck auf Hausdächern zu sehen, die über die Stadt blicken, wie über einen Ozean, den sie suchen und nicht finden können. Der elektronische Klangteppich unterstützt die Dramaturgie des Filmes, die von einer rotierenden Kameraeinstellung strukturiert wird.

7 Zwerge (2004) nennt Christoph Düpper (*1972) seine Serie von Digitaldrucken mit Collagen, die Text und Bild miteinander vereinen. Der Künstler hat Textfragmente auf Bildausschnitte geklebt, die er anschliessend auf Polaroid abfotografierte. Die so entstandenen Montagen werden zu Bühnen für die geschriebene Sprache: Die oft lakonischen und ironischen Sprüche und Zitate erhalten eine neue, bildliche Präsenz.

Im Film R (2003) von Lukas Gähwiler (*1976) treffen wir auf bekannte Figuren wie Rotkäppchen, Schneewittchen und die sieben Zwerge. Die Struktur gleicht der eines Traumes. In poetischer Bildsprache verbinden sich verwirrend überlagerte Wahrnehmungsebenen und narrative Elemente zu einem Remix der Märchen. Gedreht wurde der Film auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofes der deutschen Bahn in Basel.

Die Fotografien von Rut Himmelsbach (1950) stammen aus der Serie *Same places (gleiche Orte) (1997-2004). Die fotografischen Ausschnitte setzen verschiedene Orte in Beziehung zueinander. Es sind poetische Beobachtungen von Gesehenem und zufällig Gefundenem: Zwei Berglandschaften, ein spielendes Kind im Wald sowie eine fragmentierte Luftaufnahme einer Stadt. Die Fotografien bilden keinen offensichtlichen erzählerischen oder formalen Zusammenhang, sondern bringen vielmehr Erinnerungen an Orte hervor, die erst durch bestimmte Bilder wieder in uns aufsteigen können.

Die Videoinstallation von Christian Jamin Walken sitting (2004) holt den Schauspieler Christopher Walken in 9facher Präsenz in den Ausstellungsraum. Walken, der in den Filmen True Romance und Pulp Fiction mitwirkte, sehen wir nur sitzend und während seinen Spielpausen im Film. Mehr als jeder andere Schauspieler hat er im Sitzen sein ganzes spannungsgeladenes Handeln und die ihm eigene bedrohliche Kraft perfektioniert. Dieses Phänomen untersucht Jamin mit Hilfe von Standbildern, die ähnlich wie Film Stills stellvertretend für den ganzen Film stehen können.

Mit der Lichtinstallation von Patrick Jenni (*1970) im Fenster des Treppenhauses weitet sich die Ausstellung der Regionale 5 in den öffentlichen Raum aus und wirbt mit roter Leuchtkraft für die Ausstellung im Haus. Die sensible Intervention des Künstlers akzentuiert die erst kürzlich erfolgte Renovation und die dabei erzeugte Öffnung der Kunsthallen-Fassade durch die neue Glastüre, die sich bis in das Treppenhaus im oberen Stock weiterzieht.

Tobias Kaspars (1984) Acryl- und Ölbilder haben oft aktuelle, sozio-politische Inhalte und Motive aus der Popkultur zum Thema. In der Serie *„punch me baby, I’m loving it“ (2004) finden sich Gewehre, ein Cowboy, und zwei geschmückte Frauengestalten, die auf tradierte kulturelle Bilder referieren. Störungen von herunterlaufender Farbe lösen die Umrisslinien der Figuren auf und zersetzen gleichzeitig die ikonenhaften Bilder, die wir aus der Popkultur kennen.

Die Pastellkreiden-Bilder von Kathrin Kunz (1969) sind von filigraner Flüchtigkeit. Die ornamentale, abstrakte Strukturen haben ihre Vorlage in Schatten von Baumkronen oder im Lichtspiel von bewegten Blättern. Die Fotografien *BERG-SE(H)EN (2003/2004) zeigen Detaillaufnahmen von Bergseen mit den ihnen vorgelagerten Berglandschaften. Die blaugrünen Flächen werden durch unsere gewohnten Wahrnehmungsmechanismen als Himmel über den Bergen gesehen: Die surreale Atmosphäre der Berglandschaften ergibt sich durch diese visuelle Täuschung.

Die Fotografien von Angelo A. Lüdin (*1950) zeigen Menschen im Stau, wobei der Ausschnitt oft nur eine Hand oder einen Arm der Autofahrer erkennen lässt. Es sind Fragmente von menschlichen Handlungen oder Gesten, welche auf die Langeweile oder den Frust während des Wartens im Autos hinweisen. Der Stau ist ein zeitliches und räumliches Vakuum – man ist noch nicht da und doch unterwegs – und eine unfreiwillige Pause im allgegenwärtigen Mobilitätsdrang, die uns unsere begrenzte individuelle Freiheit bewusst macht.

Die Installationen von Catrin Lüthi K (1953) haben ihren Ausgangspunkt in Formen, welche die Künstlerin auf Baustellen und im städtischen Raum vorfindet. *Bausicht in der Kunsthalle ist eine Zusammenstellung von modellhaften Arbeiten wie Grundrisskörpern, Dachlatten und Gehäusen, die seit 2002 entstanden sind. Die Türöffnung zwischen den beiden Sälen akzentuierend, weitet sich die Anordnung der Bauelemente in die Mitte des Raumes aus und schafft neue räumliche Bezüge.

Die Fotografien von Erika Maack (*1969) basieren auf Modelle und Landschaften, welche die Künstlerin in ihrem Atelier baut. Täuschend echte Ansichten von Seelandschaften, Sonnenuntergängen oder Innenräume entstehen so, denen jedoch immer etwas von ihrer Künstlichkeit anhaftet. In der Kunsthalle zeigt Erika Maack zwei Grossdias in Leuchtkästen, die in ihrer Bildsprache an asiatische Landschaften erinnern.

Die Bilder von Barbara M. Meyer (1955) stammen aus der Serie *a singular garden von 2004. Als Bildgrund dienen Vorlagen von Pflanzen wie Zitronenmelisse, Wiesensalbei und Heckenrose. Das Thema des Sammelns und des Kategorisierens von Natur, das in Enzyklopädien seit dem 17. Jahrhundert üblich war, lässt sich auch in den abstrakten Figuren erkennen, welche die Pflanzenfiguren überlagern.

Come, heavy sleep (2004) heisst der neue Film von Christoph Oertli (*1962), der sich in seinen Arbeiten oft die Behausung des Menschen und dessen Beziehung zu anderen thematisiert. Ein nackter Mann befindet sich in einem Wohnzimmer, das aber eigentlich der Innenraum eines Geschäftes ist. Verletzlich und angreifbar versucht der Körper den Raum zu bewohnen. Dieser hat jedoch ein Eigenleben: Möbel bewegen sich und verschwinden. Privatheit und Körpernähe werden in Oertlis Film durch die gewählte Perspektive und durch die unsichere Raumsituation mehrfach angegriffen.

Tanja Schmidlins (1976) Fotoserie *Özlem (türk. f. Sehnsucht) dokumentiert die Arbeit eines türkischen Fotografen in seinem Fotogeschäft im Kleinbasel. In der türkischen Kultur werden Hochzeits- und Porträtfotografien mit gefühlvollen, romantisierenden Bildhintergründen versehen, die Wünsche bildhaft darstellen sollen. Indem in Schmidlins Bildern der Fotograf bei seiner Arbeit präsent bleibt, können sie auf den Inzenierungscharakter dieser sehnsuchtsbeladenen Porträts verweisen.

Die Arbeiten von Isabel Schmiga (1971) zeichnen sich durch einen der Künstlerin eigenen Humor und Sprachwitz aus. Neben der präparierten Tier-Plastik *Q (2003/2004) stellt die Künstlerin die Assemblage working on (2004) aus, die künstlich lächelnde Münder aus der Werbung zeigt. Montiert an Häkchen und an Gummibändern referieren sie auf die aggressive Forderung der Life-Style-Welt „working on your smile“ und werden gleichzeitig zum grotesken, gesichtslosen Dauergrinsen an der Wand.

Christian Schochs (1961) grossformatige Bilder zeigen abstrakte, ornamentale Strukturen. Während im Bild *landscape/parallel universe 1 (2004) die Formen in der dunklen Bildoberfläche versinken, besticht parallel universe 2 durch kräftiges Gelb und Farbsprenkel. Parallel universe 2 ist ein sogenanntes „Magic-Eye-Picture“, wie es in den 70er Jahren Mode war. Konzentriert man sich auf das Bild mit leicht schielendem Blick, eröffnet sich ein realistischer Eindruck von Tiefe und Dreidimensionalität.

Die Videoprojektion von Hildegard Spielhofer (1966) thematisiert den Einbruch des westlichen Tourismus in die Entwicklungsländer. Der Filmausschnitt zeigt eine statische Einstellung eines Strandes am indischen Ozean. In der Abenddämmerung flanieren indische Familien am Strand vorbei. Betritt ein westlicher Tourist die Szenerie friert das Bild für 20 Sekunden ein und der Originalton versiegt. Der Film *Über Nahes&Fernes lässt den Betrachter allein hinsichtlich seiner Einstellung und Beurteilung der westlichen Eindringlinge, welche die idyllische Stimmung am Strand nicht zu stören scheinen.

stöckerselig (*1962/1954) erkunden den städtischen Raum nach vergessenen Orten, alltäglichen Situationen und unbemerkten Momenten. Ausgehend von der genauen Beobachtung des Place d’Aligre in Paris, der sich durch seine städtebauliche Vielschichtigkeit und durch das Zusammentreffen von verschiedensten sozialen Realitäten auszeichnet, ist ein audiovisuelles Archiv entstanden. Mit verschiedenen Medien wie Filmprojektion, Digitalprints, Fundstücken und Geräuschen hat stöckerselig ein Stück dieses urbanen Lebens in die Kunsthalle geholt.

Die Objekte von Kristof Van Gestel (1976) entstehen meist ausgehend von alltäglichen Gegenständen wie Möbeln oder Architekturelementen, die mit ihren Negativ-Formen mehr den Umraum betonen als ihn einnehmen. Obwohl die Objekte uns an bekannte Gebrauchsgegenstände erinnern, haben sie keine Funktion mehr. Das Objekt *Burberry Rots – ein mit Burberry-Stoff umhüllter Stein – verbindet einen Findling aus der Natur mit dem kulturellen Zeichen eines Modelabels und befindet sich an der Schnittstelle zwischen Design- und Kunstobjekt.

Christa Ziegler (1965) präsentiert die 7 Kapitel ihres Künstlerbuches *Spazieren gehen, das 2003 anlässlich des Adolf Dietrich-Förderpreises erschienen ist. Entstanden sind die Fotografien auf regelmässigen Stadtspaziergängen der Künstlerin, auf denen jedes noch so unscheinbare Detail, jeder Ort oder Ding zum möglichen Motiv geworden ist. Diese Streifzüge sind ähnlich wie Forschungsreisen aufgebaut: Die gezeigten Fotografien dokumentieren eine subjektive Suche nach Motiven, zu denen die Künstlerin aber immer eine beobachtende Distanz einhält.