The catalogue of all exhibitions by Harald Szeemann and Impronte di pennello n. 50 ripetute a intervalli regolari (30 cm) by Niele Toroni

„with by through because towards despite“

Kuratiert von Roman Kurzmeyer

Die Kunsthalle Basel zeigt anlässlich der Publikation des Katalogs sämtlicher Ausstellungen von Harald Szeemann (1933-2005) in einer Ausstellung eine kleine Auswahl von Dokumenten aus dem Archiv des im ausgehenden 20. Jahrhundert namhaftesten unter den freien Kuratoren zusammen mit einer Intervention von Niele Toroni (*1937, lebt in Paris). Der von Tobia Bezzola, Roman Kurzmeyer und der Edition Voldemeer gemeinsam mit Harald Szeemann erarbeitete Gesamtkatalog steht im Zentrum der Ausstellung.

Harald Szeemann veränderte mit seinen zahlreichen Ausstellungen, die er seit 1957 zunächst in der Schweiz und später als international gefragter freier Kurator weltweit organisierte, nicht nur die Auffassung darüber, wie moderne und zeitgenössische Kunst auszustellen sei, sondern stellte auch die Institution Museum zur Debatte. Mit der Ausstellung When attitudes become form 1969 in der Kunsthalle Bern, die im Jahr nach den Studentenunruhen die Prozesshaftigkeit der zeitgenössischen Kunst als Ausstellung thematisierte, zieht Szeemann nicht nur wegen der beteiligten Künstlerinnen und Künstler die Aufmerksamkeit der internationalen Kunstszene auf sich, sondern auch wegen der Ausstellungskonzeption. Szeemann versammelte in seiner Ausstellung europäische und amerikanische Künstlerinnen und Künstler der jüngsten Generation, neue Namen wie Richard Serra, Robert Morris, Michael Heizer, Eva Hesse, Bruce Nauman, Joseph Beuys, Mario Merz, Richard Artschwager und Lawrence Weiner, deren Arbeiten in Bern vor Ort entstanden. Szeemann erkannte, dass der Kunstbegriff dieser Generation, der Werkformen wie Konzeptkunst, Landart, Installation, Environment und Happening umfasst, nach neuen Ausstellungsformen verlangte. Schritt für Schritt im Einklang mit den Künstlerinnen und Künstlern seiner Generation entwickelte er parallel zur Erweiterung des Kunstbegriffs neue Präsentationsformen.

Nach dem Weggang von der Kunsthalle Bern 1969 als Folge der Diskussionen um die in Bern umstrittene Ausstellung When attitudes become form und einem damit zusammenhängenden Gefühl der Entfremdung gründete Harald Szeemann die Agentur für geistige Gastarbeit mit der Absicht, „etwas Neues zu finden und zu tun und mich gleichzeitig vom offiziellen Kunstbetrieb abzusetzen“. Die ursprüngliche Leitidee der Agentur war: „Besitz durch freie Aktionen ersetzen“. Die Agentur beauftragte ihren einzigen Mitarbeiter, Harald Szeemann, Konzepte für Ausstellungen zu entwickeln, zu recherchieren, die Ergebnisse im Archiv zu sichern, die Ausstellung zu organisieren und schliesslich an jeder Station bis zum letzten Nagel selbst einzurichten und an das Publikum zu vermitteln. 1970 wurde Szeemann zum Generalsekretär der documenta 5 (1972) gewählt, dieser bis heute wichtigsten Ausstellung internationaler Gegenwartskunst. Ab 1973 stellte er die Agentur in den Dienst seines Museums der Obsessionen.

Szeemann selbst hat schon 1970 in einer Ausstellung in der Galerie Givaudan in Paris und mit der Publikation Dokumente zur aktuellen Kunst 1967-1970 sein Archiv thematisiert und dabei die späten sechziger Jahre als Zäsur in seinem Selbstverständnis als Kurator wie auch in jenem der Künstler seiner Generation dargestellt. Die Ausstellung in der Kunsthalle Basel konzentriert sich bewusst auf jenen Zeitraum in den späten sechziger Jahren, in dem Harald Szeemann sich, wie man damals sagte, mit dem Dreieck Atelier / Galerie / Museum beschäftigte, sich als freier Ausstellungsmacher neu erfand und die Agentur für geistige Gastarbeit gründete. Die ausgestellten Dokumente stammen alle aus dieser Umbruchszeit. Nicht von ungefähr feiern wir deshalb die Publikation des Katalogs sämtlicher Ausstellungen von Harald Szeemann mit einer Intervention von Niele Toroni.

Niele Toroni malt seit 1966 nach der immer gleichen Arbeitsmethode: Er wiederholt Abdrücke des Pinsels Nr. 50 in regelmässigen Abständen von 30 cm auf unterschiedliche Bildträger, meistens jedoch direkt auf die Wand, und verwendet dazu ungemischte, wasserlösliche Acrylfarben. 1967 führte er seine neue Arbeitsmethode erstmals in einer Ausstellung der Künstlergruppe BMPT vor, der er zusammen mit Daniel Buren, Olivier Mosset und Michel Parmentier angehörte. Der Beschrieb seiner Methode ist seither zugleich auch Titel seiner Malerei: „Impronte di pennello n. 50 ripetute a intervalli regolari (30 cm)“. Toroni konzentriert die Malerei auf eine einfache, elementare Tätigkeit, die ohne Erzählung und Erfindung auskommt. Es wurde gesagt, Toroni plädiere für das Schöne, Wahre und Nutzlose und somit für die Autonomie der Kunst. Toronis Schaffen wirkt durch die, wie Szeemann es einmal formulierte, „Zelebrierung des Totalen“ weit und erhaben, ist aber zugleich fein, bescheiden, lyrisch und unspektakulär. Der Bestand an Werken ist schmal, denn die meisten Arbeiten sind für einen befristeten Zeitraum entstanden. Szeemann interessierte an Toroni genau dies, nämlich die temporäre Existenzform von dessen Malerei, die, wie eine Ausstellung auch, „als Situation für den, der sie gesehen hat“, unvergesslich bleiben kann.

Der in Basel ausgestellte Katalog sämtlicher Ausstellungen ist ein Materialien- und Quellenband zum kuratorischen Schaffen von Harald Szeemann. Das in diesem Buch publizierte Material liegt im Archiv der Agentur für geistige Gastarbeit. An diesem Ort, in einer ehemaligen Fabrik im Maggiatal (Tessin), liefen alle Fäden zusammen und von dort aus wurden die Ideen wieder in die Welt getragen. Der Katalog sämtlicher Ausstellungen ist ein Produkt dieses Ortes. Es zeigt die Ausstellungen anhand der Dokumente, die Szeemann aufbewahrte.

Ausstellung anlässlich der Publikation:
Harald Szeemann, with by through because towards despite. Catalogue of all exhibitions 1957-2005, Hrsg. Tobia Bezzola / Roman Kurzmeyer, Edition Voldemeer Zürich / Springer Wien New York 2007.