Banu Cennetoğlu

Guilty feet have got no rhythm.

Vernissage: 5. Februar 2011, 19h

Die Kunsthalle Basel freut sich, die erste umfassende Einzelausstellung mit dem Titel Guilty feet have got no rhythm. der türkischen Künstlerin Banu Cennetoğlu in der Schweiz anzukündigen.

Banu Cennetoğlu wurde 1970 in Ankara, Türkei, geboren. Nach dem Studium der Psychologie in Istanbul ging sie nach Paris und studierte Fotografie. 1996 zog sie nach New York, begann sich vermehrt in eigenen Kunstprojekten mit dem Medium der Fotografie und des Künstlerbuchs auseinanderzusetzen und erhielt 2002 ein Atelierstipendium an der Rijksakademie in Amsterdam. Heute lebt und arbeitet Cennetoğlu in Istanbul, wo sie neben ihrer künstlerischen Arbeit den Raum BAS betreibt. BAS ist eine Sammlung und ein Vertrieb von Künstlerbüchern, ein Ort für Vorträge und Gespräche und vieles mehr. Gemeinsam mit der holländischen Künstlerin Philippine Hoegen gründete sie ausserdem 2006 das Künstlerbuchprojekt Bent, das den Schwerpunkt auf Künstlerbücher aus der Türkei legt.

Viele von Cennetoğlus Arbeiten beschäftigen sich mit dem Medium der Fotografie und des Films und derer vielfältiger Nutzung (etwa als dokumentarisches Beweismaterial) in Medien und Kunst. Sie greift die Frage nach der Fragilität des fotografischen Abbilds auf und stellt es dem von der Presse geforderten Realitätsanspruch gegenüber. Cennetoğlu sucht in ihren Arbeiten die Orte politischen Geschehens auf, etwa in Determined Barbara (2002-2004), wo sie das von der NATO- Schutztruppe (SFOR) besetzte Gebiet „Determined Barbara“ in der Nähe von Banja Luka, Bosnien, dokumentierte, in dem vor dem Krieg 704 Einwohner gewohnt hatten. Die subtilen Fotografien der Künstlerin werfen Fragen auf zu Landaneignung und zum Verlust, der diese Aneignung bedeutet.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Basel konzentriert sich auf das jüngere Schaffen der Künstlerin und reflektiert die verschiedenen Kontexte, in denen ihre Arbeiten in letzter Zeit präsentiert wurden. Sie ist gleichzeitig Präsentation des Werkes wie eine Dokumentation der vorherigen Manifestationen der Arbeiten andernorts – eine Art von „Introspektive“, wie Cennetoğlu die erstmalige gemeinsame Präsentation der unterschiedlichen Arbeiten umschreibt.

Im weitläufigen Oberlichtsaal im ersten Stock der Kunsthalle Basel liegen vier Exemplare der Arbeit CATAL0G 2009 (2009) neben Museumsbänken für Besucher zum Durchblättern bereit. Die Bücher wurden erstmals an der 53. Venedig Biennale gezeigt, wo Cennetoğlu neben Ahmet Öğüt (2008 in der Kunsthalle zu sehen) den türkischen Pavillon bespielte. CATALOG 2009 ist ein dickes Buch im Stil eines Versandkatalogs mit 450 Fotografien der Künstlerin, welche in 15 Kategorien eingeteilt wurden: Komposition, Farbe, Voraussetzung, Verhandlung, Operation, Angeberei, Einstellung, Ausflug, Vorsicht, Liebe, Anfall, Kunststück, Rolle, Invasion, Ersatz. Die Bilder reichen von Familienfotos, Aufnahmen von Büros und Versammlungssälen des Türkischen Parlaments bis zur Dokumentation des Einsturz der Twin Towers am 11. September 2001. Während der gesamten Dauer der 53. Venedig Biennale konnten die Besucher alle abgebildeten Fotos kostenlos bestellen und aus dem Internet herunterladen.

Die Mechanismen von Klassifizierung, Aneignung und Distribution untersucht die Künstlerin auch in der Arbeit Sample Sale / 2010 BC (2010). Die Arbeit war erstmals im Herbst 2010 in der ersten kommerziellen Einzelausstellung von Cennetoğlu in der Rodeo Galerie in Istanbul zu sehen. Jeweils einem Exemplar von CATALOG 2009 wurde eine der elf Samples-Arbeiten (2010-11) – eine Anzahl von gefundenen, angeeigneten und veränderten Objekten, Fotografien und einer digitalen Diashow – gegenübergestellt und in einem installativen Setting präsentiert. Die Samples umfassen etwa Baldessari for All, John Baldessaris Arbeit Tips for Artists Who Want to Sell (1966-68), die Cennetoğlu auf vier graue Pullover drucken liess. Souvenirs from the Manifesta 8, The European Biennial of Contemporary Art Region Murcia (Spain) in dialogue with Africa ist ein Hinweis auf ihre Einladung zur Teilnahme an der Manifesta 8: Ein Arrangement mit Männerschuhen und einem Vibrator, der von der Londoner Sexspielzeug-Designerin Shiri Zinn entworfen wurde sind auf einem Regal präsentiert. Daneben steht eine Fotografie mit Aufnahmen der „Zonas verdes“, der Grünflächen von Murcia, welche Cennetoğlu in dem Austragungsort der Manifesta 8, einer ehemaligen Artilleriebarracke, völlig verstaubt gefunden hat. Das letzte Element des Arrangements bildet eine Fotografie des Unterseeboot-Prototyps „Peral“, das 1884 entworfen wurde, nie in Produktion gegangen ist und heute als Monument den Spanischen Militärhafen von Cartagena schmückt (einem weiteren Ausstellungsort der Manifesta 8). Diese „Warenmuster“ setzen sich alle mit der kontextabhängigen Interpretation kultureller Produktion auseinander und kommentieren die Vermarktung und Präsentation eines Produkts ebenso wie die Rolle und Erfahrungen der Künstlerin, des Galeristen oder des Kurators. Die Angestellten der Galerie wurden insofern Teil der Arbeit, als dass ihr Tisch in den Ausstellungsraum verlegt wurde und sie den Besuchern Auskunft über die Verkaufskonditionen der Werke zu geben hatten.

Als Erweiterung der Präsentation der Samples in der Kunsthalle Basel wurde Adam Szymczyk, Direktor der Kunsthalle Basel, wie zuvor Cennetoğlus Galeristin Sylvia Kouvali, gebeten, eine Auswahl an Aufnahmen aus dem CATALOG 2009 auszuwählen (Director’s Picks / Dealer’s Picks). Ein weiterer Teil der Installation bilden 20.08.2010 und 14.01.2011. Es handelt sich um je eine gebundene Sammlung von 209 türkischen, respektive 96 Schweizer Tageszeitungen, die an dem jeweiligen Datum gedruckt wurden. Die beiden Daten stehen exemplarisch für die tägliche Informationsflut, die auf den zweiten Blick gar nicht mehr so heterogen ist, wie sie scheint: In der Schweiz wird deutlich, wie wenig Medienhäuser die Medienlandschaft beherrschen und dementsprechend uniform die Berichterstattung ist – der Lokalteil ist praktisch die einzige Rubrik der verschiedenen Medienhäuser, die sich inhaltlich von den anderen hauseigenen Blättern unterscheidet. Mit Pavilion II, Within Limits 1921-1995 (2010) entstand anlässlich der Manifesta 8 eine kollaborative Arbeit mit der zuvor erwähnten Designerin Shiri Zinn. Ein in Auftrag gegebenes Sex- Glasspielzeug der Designerin wurde mit einer Staubprobe der Militärbarracken gefüllt, in denen das Werk später zu sehen war.

Im letzten Saal der Ausstellung wird die neue Arbeit Suzanne Gabriello – Z’avez pas lu Kafka? (1966-2011) präsentiert. Sie besteht aus einer Tonaufnahme des Chansons Z’avez pas lu Kafka? der französischen Schauspielerin und Sängerin Suzanne Gabriello (1932-1992), einer Parodie von Nino Ferrers Lied Z’avez pas vu Mirza? (1965), und einer Kurzbiografie, zusammengestellt von Cennetoğlu. Augenzwinkernd verbindet Cennetoğlu darin das Motiv des Hundes, das in den Liedern auftaucht, mit der Biografie von Gabriello und Ferrer und mit einem dritten Lied: das Chanson Ne me quitte pas (1959) von Jacques Brel, der den Song für seine damalige Geliebte Gabriello schrieb. Während Brel den Hund als Metapher für seine Liebe benutzt („Lass mich der Schatten deines Hundes werden“) und Ferrer nach seinem Hund Mirza sucht („Wo ist nun mein Hund geblieben?“), arbeitet Gabriello „wie ein Hund“, um Kafka zu verstehen.

Neben der Ausstellung in der Kunsthalle Basel wird an 70 Plakatstellen in Basel The List ausgehängt. The List ist ein PDF-Dokument mit den Namen von mehr als 13’824 registrierten Flüchtlingen, die innerhalb oder an den Grenzen Europas gestorben sind (Stand der Dokumentation 17.06.2010). Sie wurde von der Organisation UNITED für interkulturelle Aktion zusammengestellt. Seit 2006 verbreiten Cennetoğlu und der Kurator Huib Van der Werf diese Auflistung, indem sie ihre beruflichen Positionen nutzen, in öffentlichen Aushängen. Bisher war die Liste im März 2007 in Amsterdam zu sehen und wurde im September 2007 während der Biennale von Athen als Zeitungsbeilage in griechischer Sprache publiziert. Das aktuelle 35-seitige Dokument wurde in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Basel auf Deutsch übersetzt und wird in Basel-Stadt und Baselland vom 31. Januar bis 8. Februar 2011 ausgehängt.

Den Begriff des Zugangs stellt Cennetoğlu in ihren Arbeiten immer wieder zur Diskussion – Zugang zu Information und Zugang zu Territorium, wie auch dessen politische, individuelle oder emotionale Implikationen. Bezeichnend für Cennetoğlus Ansatz ist es, dass sie die Möglichkeiten der Kunst beständig auslotet und neu auf ihren Informationsgehalt befragt. Wie sie selber in einem Interview meinte: „Kunst ist nicht CNN; durch ein Medium kann sie unerwartete Informationen zu einem unerwarteten Zeitpunkt anbieten oder aufzwingen, und das macht genau ihre Stärke aus.“

Banu Cennetoğlu wurde 1970 in Ankara, Türkei geboren, sie lebt und arbeitet in Istanbul. Cennetoğlu studierte u.a. an der Rijksakademie van beeldende kunsten in Amsterdam. 2010 realisierte sie die Einzelausstellung Sample Sale BC 2010, Rodeo Gallery, Istanbul/TR (2010). Sie nahm an zahlreichen Gruppenausstellungen teil wie Second Exhibition, ARTER, Istanbul/TR (2011), La revanche de l’archive photographique, Centre de la photographie, Genf/CH (2010); Manifesta 8, Murcia/ES (2010); The Past is a foreign country, Centre of Contemporary Art Znaki Czasu, Torun/ PL (2010); I Like The Truth, I Never Liked Fiction (and vice versa), Rodeo Gallery, Istanbul/TR (2009); 10. Internationalen Istanbul Biennial, TR (2007); 1. Athen Biennale, GR (2007); Brave New Worlds, Walker Art Center, Minneapolis/USA (2007); Wherever We Go: Art, Identity, Cultures in Transit Phase 1, San Francisco Art Institute, USA (2007); Information/ Transformation, Extra City Center for Contemporary Art, Antwerp/NL (2005); Brothers, Sisters and Birds, Badischer Kunstverein, Karlsruhe/D (2004) und der 3. Berlin Biennale, D (2004). 2008 kuratierte die Künstlerin zusammen mit Philippine Hoegen die Einzelausstellung Masist Gül im Schinkel Pavillon im Rahmen der 5. Berlin Biennale. 2009 vertrat sie die Türkei an der 53. Biennale in Venedig zusammen mit dem Künstler Ahmet Öğüt.

Online-Artikel zur Ausstellung auf Art in America