Rita Ponce de León

Endless openness produces circles

In Zusammenarbeit mit Pablo Pérez Palacios

Die Kunsthalle Basel freut sich, die erste in Europa stattfindende Einzelausstellung der aus Peru stammenden und in Mexiko lebenden Künstlerin Rita Ponce de León (1982) zu präsentieren, die in enger Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Architekten Pablo Pérez Palacios (1980) entstanden ist.

Ausgangspunkt vieler Zeichnungen Ponce de Leóns, die Teil der Ausstellung Endless openness produces circles in der Kunsthalle Basel sind, bilden Gespräche mit Freunden und bekannten der Künstlerin. Auch den im Oberlicht realisierten Wandzeichnungen dienten auf dieser Grundlage entstandene Zeichnungen als Vorlage. Dabei liegt der Schwerpunkt der geführten Gespräche, von denen Ponce de León Aufzeichnungen gemacht hat, auf den subjektiven Empfindungen, Meinungen und Interessen sowie auf persönlich relevanten Ereignissen, von denen die jeweiligen Gesprächspartner betroffen sind. Der Künstlerin geht es vor allem darum, an etwas zu arbeiten, etwas weiterzuentwickeln, an dem sie bereits Anteil hat. Daher analysiert sie in einem nächsten Schritt ausgehend von den Aufnahmen und Texten, die sie zu den Konversationen angefertigt hat, nicht nur die Aussagen ihrer Gesprächspartner, sondern auch ihre eigenen und übersetzt sie in visuelle Skizzen. Die subjektiven Aussagen werden so zu objektiven Textfragmenten, die im letzten Teil des künstlerischen Prozesses in Zeichnungen umgesetzt und re-interpretiert werden. Der Akt des Zeichnens, den sie als den emotionalsten Teil beschreibt, reflektiert und kreiert eine Art intuitive Auseinandersetzung nicht nur mit Text, sondern auch mit der gesamten Erfahrung, sich mit den Leuten auseinanderzusetzen, die sie kennt.

Das wichtigste Element des Interesses, Gespräche zu visualisieren, bildet für die Künstlerin der Aspekt der Freundschaft. Der einzigarte Moment von Aufrichtigkeit und Wahrheit ist es, der die Künstlerin inspiriert. Genau das ist es auch, das als sozialer Moment in der Kunst bzw. als sozialer Ausgangspunkt in der Arbeit Ponce de Leóns gelesen werden kann. Dieser ganze Prozess, der so aufwendig wirken mag, geht davon aus, dass Bilder wirklich etwas kommunizieren, wenn ihnen eine tatsächliche Lebenserfahrung zu Grunde liegt: Wissen, das durch Erfahrung generiert wurde. Das ist auch der Grund, warum die Künstlerin sich seit einiger Zeit mit Butoh, einer japanischen Form des Tanztheaters auseinandersetzt. Seit ende der 1960er Jahre findet man in Japan und mittlerweile weltweit Tänzer und Tanztheater, die sich dieser selbstreflexiven Ausdrucksform des Tanzes widmen, der als Geste des Widerstands gegen den für die pure Unterhaltung geformten westlichen Tanz und den starren japanischen Traditionen entstanden ist, mit dem Ziel, eine zeitgenössische japanische Ausdrucksform zu finden. Die Ursprungsform des Butoh als Form des künstlerischen Widerstandes lässt sich mit europäischen Ausprägungen wie dem Wiener Aktionismus vergleichen. Die Gruppe der Wiener Aktionisten, dazu gehörten neben anderen Otto Muehl (1925–2013) oder Hermann Nitsch (*1938), war zwischen 1962 und 1970 aktiv und versuchte durch expressive Kunst und andere Ausdrucksformen gegen repressive gesellschaftliche Zustände vorzugehen.

Ponce de Leóns hauptsächliches Interesses an Butoh liegt darin, das Leben und alle dazugehörigen Elemente durch den menschlichen Körper zu erfahren. Formen wie „dance of darkness“ (Tanz der Dunkelheit) oder „dance of death“ (Tanz des Todes) gehören zu ersten Butoh-Werken, die von Künstlern wie Tatsumi Hijikata (1928–1986) oder Kazuo Ohno (1906–2010) mit dem Ziel entwickelt wurden, neue Formen expressiven Tanzes zu schaffen, den Körper metaphorisch zu öffnen und als Instrument des Ausdrucks zu verwenden. Dabei geht es Rita Ponce de León vor allem um die Kollektivität der Mitwirkenden. Verbringt man Zeit mit Menschen teilt man auch den Raum mit ihnen, atmet die gleiche Luft, und bedient sich der gleichen Gegenstände. Ein Dialog entsteht, bevor man sich sprachlich austauscht. Das miteinander wird zum Werkzeug der Künstlerin, die das „Zusammensein“, das „zusammen Leben“, und den Umgang damit hinterfragt und darstellen möchte. Der Oberlichtsaal, der auf Grund seiner architektonischen Gegebenheit mit Tageslicht durchflutet wird, suggeriert genau diese Art der Offenheit, die hier entstehen soll. Eine Offenheit zwischen den Besuchern und den Werken ebenso wie zwischen den Werken untereinander. Die Architektur, die in Zusammenarbeit mit dem Architekten Pablo Pérez Palacios entstanden ist, verändert die Räume nur geringfügig und verweist damit umso mehr auf die Veränderung selbst. Dabei lag der Fokus dieser Zusammenarbeit auf der weiteren Öffnung des Raumes und dem Ziel, die drei Säle zu verbinden, sie zu einem erfahrbaren und offenen Raum bzw. Erlebnis zu machen. Untitled (Sin título) (2014) ist eine leichte künstliche Wand aus Stoff, die die bestehende gemauerte Wand aufgreift und sie um 18° in den Raum dreht. Die Geste ist einfach, doch der Effekt irritierend. Der rechteckige Raum wird in seiner gesamten Gegebenheit verändert und verschiebt so die Wahrnehmung des Raumes, des Körpers und seiner Bewegung. Selbst das eintreten in diesen aus dem 19. Jahrhundert stammenden Saal wiederholt sich, zweimal betritt man nun den eigentlichen Raum. eine weitere Transformation wurde erreicht, indem die Linien, die über die Wände des Saals verlaufen, sich mit der eckigen Metall-Struktur verbinden, die vom Hauptsaal durch den Türrahmen in den nächsten Saal führt.

Which point of view is actually mine? (¿Qué punto de vista es realmente el mío?) (2014) ist der Titel der Wandzeichnungen und der installativen Struktur in Saal 10. Die  Wandzeichnungen, die figurative mit abstrakten Elementen verbinden, basieren auf kleinformatigen Zeichnungen der Künstlerin und greifen Personen auf, die ihr bekannt sind, ebenso spiegeln sie Überlegungen der Künstlerin im Bezug auf den Raum und auf den Akt des Zeichnens wieder. Dabei sind es nicht unbedingt Menschen, die Teil ihres alltäglichen Umfelds sind. Auch Bekanntschaften aus vergangenen Jahren finden sich darunter. So können Details wie die Frisur schon längst nicht mehr aktuell, dennoch aber korrekt sein, da sie auf der Erinnerung Ponce de Leóns beruhen. Identitäten werden nicht dargestellt und darum soll es auch nicht gehen. Hier wird deutlich, was anfangs gemeint war, wenn davon gesprochen wurde, Erfahrungen und Erinnerungen visuell umzusetzen. Der grossformatige Hinterkopf einer Frau zeigt Augen in ihrem Haar, die uns anblicken. Der Blick zwischen innen und aussen wird hier illustriert, während er in dem Relief an der gegenüberliegenden Wand Form annimmt: Me-something (Yo-Algo) (2014), ein aus der Wand herausgenommenes ovales Relief in Grösse und Form eines menschlichen Kopfes. Das „Gesicht“ zeigt keinerlei Details. Vielmehr geht es darum, eine irritierende Perspektive zu schaffen und die gesamte Wand als Maske wahrzunehmen. Entscheidet man sich, die „Maske“ tatsächlich aufzusetzen, verschwindet man für eine Weile, verlässt den Raum und betritt einen ganz eigenen. Im übertragenen Sinne hat man nun die Möglichkeit, durch die Wand zu schauen und den Hof der Kunsthalle zu erblicken.

Die Serie von Zeichnungen, die für die Ausstellung in der Kunsthalle entstanden und nun in Saal 11 zu sehen sind, tragen den Titel A Change Of Mind Serves To Advance An Honest Mind Drawings (I Started Saying Something But I Forgot And Said Something Else) (Dibujos de Cambio de Idea-comencé diciendo algo pero lo olvidé y dije otra cosa-) (2014). Rita Ponce de León sieht diese Zeichnungen eben als genau die Visualisierungen von Erfahrungen und Erlebten, die nun von ihr voller Emotionen und sehr intuitiv in Zeichnungen umgesetzt wurden. Und erneut wird Offenheit suggeriert, indem die Rahmen nach oben nicht abgeschlossen sind.

Endless openness produces circles (La apertura sin fin produce círculos) (2014), titelgebend für die Ausstellung und Werktitel für die Installation im letzten Raum, spielt genau mit dieser Idee von unendlicher Offenheit. sich einzulassen auf die Umgebung führt zu dieser Offenheit, von der die Künstlerin hier spricht. Die Konstruktion zweier grossformatiger in sich verschränkter Aluminiumrahmen ragt aus dem Fenster hinaus und spiegelt sich im Innenraum mittels baugleicher Rahmen, die in den Raum ragen. Das vervielfältigte Türfenster multipliziert die Aussichten, die man erfahren kann und verdoppelt die Offenheit des Fensters. Dabei ist der Besucher eingeladen, die Türfenster zu verschieben und seine Perspektive zu wechseln.

In ihrer Ausstellung Endless opennes produces circles bedient sich Rita Ponce de león einem Medium, das subjektive und kollektive Erfahrungen und Erinnerungen skizziert, umreisst und darstellt und sie in eine gegenwärtige Diskussion überführt, wie unsere eigene Existenz uns tatsächlich zeichnet. Die Art und Weise, wie sie es macht, das, was ihnen zu Grunde liegt, ist dabei der Kern, der zu dem führt, was unser Zusammenleben charakterisieren sollte. Die Kombination dieses so „leichten“ Mediums mit ebenso „dezenten“ Architekturen bringt den Besucher der Kunsthalle dazu, sich selbst einzubinden und sich dem Gegenüber in Verbindung zu setzen, Emotionen freien Lauf zu lassen und zu reflektieren, was man erlebt hat und an was man sich erinnern möchte.